Lernspiele wie Eckenrechnen, Galgenmännchen oder Wörterbingo kennen die meisten Menschen noch aus der Grundschule. Doch schon an der weiterführenden Schule – und erst recht an der Universität – wird spielerisches Lernen zur Seltenheit. „Warum eigentlich?“, fragt sich die Kieler Studentin Irene Müller. Schließlich machen Plan-, Lern- und Hörsaalspiele nicht nur Spaß, sondern können auch Motivation und Lernerfolg steigern. Das weiß selbst Harry Potter.
Text: Irene Müller
Einleitung: „Punktabzug für Gryffindor!“
„Punktabzug für Gryffindor!“ – Harry Potter Punkte abzuziehen scheint eine Lieblingsbeschäftigung von Professor Snape zu sein. Punkte werden nicht nur für Betragen, sondern auch in den Schulstunden verliehen. Der ewige Wettkampf zwischen den Häusern der großen Zaubererschule Hogwarts und die jährliche Verleihung des Hauspokals treibt die Schüler_innen an, der Schulalltag ist (fast) wie ein großes Spiel.
Und wie ist das bei uns an der Uni? Liebe Profs und Doktorand_innen, habt ihr schon mal mit euren Studis gespielt? Was an der besten Zaubererschule der Welt geht – warum sollte das nicht bei uns gehen?
Hörsaalspiele
Gute Hörsaalspiele lockern auf, regen zum Mitmachen an und bereiten den Stoff auf.
Reihenrechnen funktioniert in einer Mathematik-Vorlesung zum Beispiel so: Alle Studis sitzen in Fünfergruppen an den Rändern der Stuhlreihen. Diese Gruppen müssen Aufgaben lösen, aber nur diejenigen, die am Rand sitzen, dürfen das Ergebnis laut ausrufen. Die anderen aus der Gruppe können es per Stille Post weitergeben. Die Gruppe, die ein richtiges Ergebnis vermeldet hat, bekommt einen Punkt.
In der Medizin oder in den Geisteswissenschaften bietet sich vielleicht eher „Message in a Bottle“ an. Zuerst sollen Studis noch offene Fragen auf Zettel schreiben. Diese werden eingesammelt und in zwei Flaschen gesteckt. Die Gruppe wird geteilt, und die Flaschen dürfen nur mit den Füßen durch die Bankreihen befördert werden. Auf ein Signal werden die Flaschen aufgehoben, und derjenige, der eine Flasche hat, muss eine Frage herausholen und beantworten. Das Ziel dieses Spiels: offene Fragen so anonym wie möglich klären.
Im Grunde sind die Ideen oft einfach: Die Gruppe teilen und gegeneinander antreten lassen. Zum Rekapitulieren möglichst schnell Stichworte aus dem Seminar von A-Z finden. Tabu mit Fachbegriffen. Karaoke zu einem Schaubild. Und viele Varianten.
„Gamification“ – Wettbewerb oder kein Wettbewerb?
In Hogwarts gibt es einen klaren Wettbewerb zwischen den Häusern. Auch der Kieler Professor Christian Näther (s.u.) setzt auf den „motivierenden Druck“, der im gemeinsamen Spiel entstehen kann. Manche Dozierenden sind jedoch skeptisch: sie wollen beim Lernen keine Wettbewerbssituationen erzeugen – und bezeichnen ihre Methoden daher nicht als Spiel.
Selbst der Heidelberger Matheprofessor und enthusiastische Spiele-Freund Christian Spannagel, fragt sich bisweilen kritisch: Ist Lernen nicht auch etwas individuelles, das Zeit und Ruhe erfordert und nicht immer in Gruppen geschehen muss?
Ein geschickter Einsatz der Methoden ist also, wie immer, angebracht.
Und in Kiel? – Where you sit is where you stand
Brettspiel zur Prüfungsvorbereitung
Der Kieler Chemieprofessor Christian Näther hat zu seiner Vorlesung „Fortgeschrittene Analytische Methoden“ das Spiel „Dr. Know“ entwickelt. Die Spieler_innen treten gegeneinander an, um bestimmte Fragen zu beantworten – je nach Schwierigkeitsgrad mit mehr oder weniger Zeit. Antworten können „nach fachlicher Diskussion“ auch anerkannt werden, wenn sie nicht der vorgesehen Antwort entsprechen.
In einer ersten Feedbackrunde waren die Studis begeistert – allerdings haben sich in der Prüfungsphase nur wenige das Spiel ausgeliehen. Immerhin: Ein Doktorand nutzte es zur Vorbereitung seiner Disputation.
Modellierung von Dilemmasituationen
Der Kieler Kulturgeographieprofessor Florian Dünkman baut Spiele aus der Spieltheorie in seine Vorlesung zu „political geography and power“ ein. Hörer_innen der Vorlesung bekommen Punkte, die sie in mehreren Runden verdeckt setzen können. Am Ende wird der Gruppeneinsatz verdoppelt auf alle aufgeteilt: wenn alle ihr gesamtes Geld setzen, bekommen alle am meisten. Wer aber wenig setzt, hat – sofern die anderen viel setzen – am Ende mehr als die anderen.
Das Spiel zeigt Dilemmata zwischen individueller und Gruppen-Rationalität; im Anschluss wird kurz über die Motive geredet, erst anschließend geht es weiter mit der theoretischen Vorlesung.
In Kiel gibt es also schon Beispiele. Aber wo findet man weitere Anregungen für die verschiedenartigen universitären Lernsituationen?
Good Practice-Beispiele
Spielbeschreibungen für…
Spielsammlungen – zum Beispiel …
- bei Christian Spannagel, Mathe- und Pädagogikprofessor aus Heidelberg
- im Lehrmedienwiki
- bei Kristina Lucius
- im Improwiki, das Ideen für Improvisationsspiele versammelt
außerdem spannend:
- Ulrike Lucke von der Uni Potsdam berichtet, wie Lern-Apps helfen können, Informatikstudis Perspektiven zu vermitteln, die in Vorlesungen schwer zu vermitteln sind wieso spielend lernen keineswegs unseriös ist.
- Patrik Breitenbach denkt über Gamification nach
- Die Landesanstalt für Medien NRW wagt in einer Broschüre eine Bestandsaufnahme zum (Digital) Game based learning
… Wer googelt, der findet 😎 .
Also, liebe Professorinnen und Professoren, baut doch bitte mal in der nächsten Stunde ein Hörsaalspiel ein!
Wir werden’s euch danken.
PS: Das erste Institut, das nachgewiesenermaßen drei Hörsaalspiele gespielt hat, bekommt von mir ein Eis. Und den Hauspokal natürlich!